Leseprobe aus "der kerzenkreis" - gerade neu erschienen am 29.9.2016


Der Raum lag im Halbdunkel. Nur auf dem großen, mit Schnitzereien verzierten Eicheschreibtisch brannte eine kleine Lampe. Hinter dem Tisch saß ein Mann. Leicht vorgebeugt und mit gerunzelter Stirn blätterte er dünne Aktenhefter durch. Sein Haar war an den Schläfen ergraut und die Lesebrille saß tief auf seiner markanten Nase. Hin und wieder markierte er einzelne Textstellen auf den eng beschriebenen Blättern. Nach einer Weile lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. Sein Blick schweifte ins Leere. Es war alles nicht so einfach, wie er es sich vorgestellt hatte. Aber er musste eine Entscheidung treffen, und zwar bald. Langsam stand er auf und ging zur Wand. Hier hing eine große Deutschlandkarte, auf der bereits eine ganze Reihe von schwarzen Fähnchen steckte. Jedes dieser Fähnchen markierte einen Ort, indem sein Unternehmen bereits aktiv war. Jetzt galt es, zu expandieren und dafür benötigte er weitere, strategisch gut ausgewählte Niederlassungen. Die großen Städte mied er ganz bewusst. Für das, was er vorhatte, waren ländliche Regionen deutlich besser geeignet. Allerdings musste die Gegend schon relativ dicht besiedelt sein und ihm eine gewisse Anonymität gewähren. Deshalb hatte er in den letzten Wochen einige Mitarbeiter ausgeschickt. Die Ergebnisse ihrer Beobachtungen waren in den dünnen Aktenheftern zusammengefasst, mit denen er sich noch vorhin so intensiv beschäftigt hatte. Er starrte auf die Karte und sein Blick kam immer wieder auf eine kleine Stadt am Rand des Ruhrgebiets zurück. Werne an der Lippe hatte weniger als 40.000 Einwohner, überraschend viele Schulen und eine gute Verkehrsanbindung. Außerdem lag die Kleinstadt im Einzugsbereich einiger Großstädte. Er griff nach einer roten Fahne. Rote Fahnen bezeichneten Orte, die infrage kamen, aber in denen er selbst noch nicht gewesen war. Das sollte sich jetzt ändern. Er wollte sich vor Ort selbst ein Bild davon machen, ob die Stadt für seine Zwecke geeignet war.

Er sah auf die Uhr. Zeit, sich auf den neuesten Stand zu bringen. Langsam verließ er sein Büro und stieg in den Keller hinunter. Hinter einer schweren Stahltür befand sich das Herzstück seines Unternehmens, die Computerzentrale. Hier liefen die Neuigkeiten aus allen seinen Niederlassungen zusammen. Es hatte Jahre gedauert, Männer und Frauen auszubilden, die in den einzelnen Niederlassungen in seinem Sinne die notwendige Arbeit taten. Er erinnerte sich zurück an die Anfänge. Damals war er zunächst ganz allein.

 

***

 

25 Jahre zuvor in einem kleinen Dorf in Süddeutschland…

 

»Albert, wo steckst du nur wieder. Die Hühner müssen gefüttert werden.«

Albert hörte die Stimme seiner Mutter, wie immer zu schrill und wie immer zu laut. Wenn sie ihn doch endlich einmal in Ruhe lassen könnte. Er war nun schon fast 18 Jahre alt, aber sie behandelte ihn wie ein kleines Kind. Groll stieg in ihm hoch. Es wurde Zeit, dass einer von ihnen hier verschwand. Albert überlegte, welche Möglichkeiten er hatte. Er konnte abhauen, klar. Aber er hatte kein Geld. Er musste sich etwas ausdenken, aber immer wieder hallten die kreischenden Worte seiner Mutter in seinem Kopf. Albert wurde wütend, richtig wütend. Neben ihm stand die Mistgabel. Er schloss einen kurzen Moment die Augen und stellte sich vor, wie sich die spitzen Zinken in den Körper seiner Mutter bohrten. Dann wäre endlich Ruhe, ein für allemal. Albert hatte öfter solche Fantasien. Aber er dachte sie nie zu Ende. Heute aber war irgendetwas anders als sonst. Er hatte in der Nacht einen seltsamen Traum gehabt. Er konnte sich nicht mehr an Einzelheiten erinnern, aber es schien so, als warte eine besondere Aufgabe auf ihn. Eine Aufgabe, die er nur erfüllen konnte, wenn seine Mutter endlich verschwinden würde. Aber er konnte doch nicht wirklich seine eigene Mutter umbringen. Dafür ging man ins Gefängnis, und zwar für lange Zeit. Das konnte nicht der Plan sein. Er dachte angestrengt nach. In diesem Moment stieß seine Mutter die Stalltüre auf.

»Hier steckst du also. Hast du mich nicht rufen gehört? Du sollst endlich die Hühner füttern und mit dem Stall sauber machen bist du auch noch nicht fertig. Ich kann doch nicht alles allein machen. Du musst mir schon ein wenig helfen.«

»Hättest du Karl nicht vergrault, wäre einer da, der die Arbeit machen könnte«,antwortete Albert. Karl war eine ganze Weile der Freund seiner Mutter gewesen. Im Anfang fand Albert das auch ganz gut, denn so hatte er seine Ruhe vor ihr. Aber Karl ließ sich eben nicht so einfach herumkommandieren wie Albert. Eines Tages hatte er seine Sachen gepackt und war einfach gegangen, ohne ein Wort der Erklärung. Albert hatte den Mann beneidet um seine Unabhängigkeit. Von da an war seine Mutter noch unausstehlicher geworden. Sie war unzufrieden mit ihrem Leben und diese Unzufriedenheit ließ sie an Albert aus. Er hatte gerade seinen Hauptschulabschluss gemacht und sich überlegt, ob er weiter zur Schule gehen oder eine Ausbildung anfangen sollte. Aber seine Mutter hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. »Du hast genug gelernt. Es wird Zeit, dass du anfängst zu arbeiten und mir hier auf dem Hof hilfst.«

     

Albert hatte keine Chance gehabt. Immer, wenn er das Thema einer Ausbildung anschnitt, machte sie ihm deutlich, dass er ein Nichtsnutz sei und nur zu faul zum Arbeiten. Ja, einmal hatte sie ihm sogar gesagt, er sei schuld an der ganzen Misere. Wenn sie kein Kind bekommen hätte, wäre sie heute viel besser dran.

Albert hatte geweint, als sie ihm hasserfüllt diese Worte entgegenschleuderte. Er hatte sich gewünscht, er wäre tot und sogar versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Aber selbst dazu war er zu dumm gewesen. Seine Mutter hatte ihm Pflaster auf die Handgelenke geklebt und ihn in den Stall geschickt zum Arbeiten. Von diesem Tag an wusste Albert, dass es genau anders herum richtig war. Er wäre besser dran, wenn es seine Mutter nicht mehr gäbe. Trotzdem machte er sich jetzt daran, die ihm aufgetragenen Arbeiten zu erledigen. Danach wollte er zum Weiher radeln und sich auf die Wiese legen. Dort schlief er manchmal, wenn er es im Haus nicht mehr aushielt. Vielleicht kam der Traum ja wieder. Es musste irgendetwas Bedeutsames sein, eine Botschaft, wie er sein Leben verändern könnte.

  

Albert lag auf der Wiese und sah den Wolken nach, die über den Himmel zogen. Er wurde schläfrig und schloss die Augen.  



Leseprobe aus dem Werne-Krimi "mörderisches sim-jü"

"Mörderisches Sim-Jü" erscheint im November 2013 im Candela Verlag, Korb

 

Silvia Wischkamp nahm eine Schere und schnitt vorsichtig Couponsaus der Tageszeitung aus. Seit sie in Werne lebte, tat sie das jedes Jahr imOktober. Es waren Freifahrtscheine für Fahrgeschäfte, die man am Familientagmontags einlösen konnte. Man bezahlte einmal und durfte zweimal fahren. IhrMann Jens, der gerade versuchte, den Sportteil seiner Zeitung zu retten,grinste.

»Liebes,wie oft willst du denn Riesenrad fahren am Montag?«

»Amliebsten den ganzen Tag.«

»OhMann«, stöhnte Jens.

»Daswird je wieder echt anstrengend. Ich glaube, ich gehe vielleicht doch lieberarbeiten.«

Drohend hob Silvie die Schere.

»Duhast es versprochen. Du hast dieses Jahr Urlaub, solange, wie Sim-Jü dauert.Ich will auf den Marktplatz, wenn die Freifahne gehisst wird, ich will einLebkuchenherz und ich will jeden Tag über die Kirmes bummeln. Und ich willMontag Riesenrad fahren.«

Beruhigend tätschelte Jens Wischkamp seiner Frau die Hand.

»Machdir mal keine Sorgen, Silvie. Ich habe meinem Chef schon gesagt, dass ichUrlaub nehmen werde. Ich will schließlich nicht riskieren, dass du diese Scherezweckentfremdest.«

»Gutso, ich sehe, du nimmst meine Wünsche ernst.«

Beide brachen in fröhliches Gelächter aus. Eine Woche noch,dann würde in Werne wieder für vier Tage Ausnahmezustand herrschen. Keinefreien Parkplätze in der Nähe der Innenstadt und Hunderttausende von Besuchern,die eigens wegen der Kirmes nach Werne kamen. Gut nur, dass sie so nah bei derInnenstadt wohnten, dass sie bequem zu Fuß dorthin gehen konnten. Da war dannauch das ein oder andere Bier kein Problem, dass es im Festzelt gab. Wenn dabloß nicht wieder stundenlang Blasmusik gespielt würde.

 

***

 

 

Als Walter Berghoff die kleine Kneipe am Kirchplatz betrat,schlug ihm Stimmengewirr und Qualm entgegen. Es war das einzige Lokal in Werne,in dem noch geraucht werden durfte. Und wenn stimmte, was man in den Zeitungenlas, würde auch das bald vorbei sein. Walter Berghoff verstand das nicht. Errauchte zwar selbst nicht, aber er verstand, dass für viele Menschen dieZigarette zum Bier so etwas wie Gemütlichkeit war, auf die sie nicht verzichtenwollten. Und hier war es außerdem auch immer voll, während in anderen Kneipenin Werne oft gähnende Leere herrschte. Er sah sich um. Da, am Ende der Theke,saß der Mann, mit dem er heute unbedingt reden wollte. Er bahnte sich seinenWeg und sprach ihn an.

»Na,welche Laus ist dir denn heute über die Leber gelaufen? Du siehst ja nicht sehrglücklich aus.«

Erstaunt sah Peter Waldmann auf. Er erkannte den Typen, dersich mit ihm schon an der Achterbahn unterhalten hatte. Wie hatte der nochgleich geheißen? Ach ja, Walter.

»Hallo,Walter. Ich bin nicht wirklich in Stimmung für eine Unterhaltung. Lass gutsein.«

Aber so schnell ließ sich ein Walter Berghoff nichtabwimmeln. Er winkte der Bedienung zu und bestellte zwei Bier. Dann setzte ersich neben Peter Waldmann auf die Bank an der Theke.

»Jetzthör schon auf. Das ist dein letzter Abend, bevor der Rummel hier losgeht. Wenndich irgendwo der Schuh drückt, dann mach den Mund auf. Vielleicht kann ich dirja helfen.«

 

»Mirkann keiner helfen. Meine Achterbahn ist zu alt, um noch wirklich attraktiv zusein, die Banken sitzen mir im Nacken wegen der Kredite und dieses Jahr wirdSim-Jü ein Verlustgeschäft. Und das habe ich nur diesen beiden Amis zuverdanken. Aber als ob das nicht genug wäre, da taucht doch einer von denenheute bei uns auf und schenkt uns Freikarten für die Premierenfahrt morgenAbend. Stell dir vor, mein Sohn, der Depp, der findet das auch noch cool undhat mich tatsächlich überredet, mit ihm dahinzugehen.«

Peter Waldmann hatte sich richtig in Rage geredet. WalterBerghoff musste sich bemühen, sein Grinsen zu verbergen. Das lief ja besser,als er gedacht hatte. Aber das sagte er natürlich nicht.

»Mensch,Peter. Das tut mir echt leid. Die beiden Amis, sagst du? Das sind doch die mitdiesem neuen Fahrgeschäft, oder? Steht ja inzwischen in allen Zeitungen.«

»Ja,genau die meine ich. Das war immer mein Standplatz, da am Solebad. Schon fast20 Jahre lang. Und jetzt? Einen Nachlass auf die Platzgebühren haben sie mirgegeben. Aber das reicht vorne und hinten nicht. Nicht mal für die Bahn undmich. Aber da sind ja auch noch meine Frau und mein Sohn. Und die steckengenauso in der Scheiße wie ich, wenn die Bahn nichts einbringt.«

»Blöde Sache, wirklich. Sag mal, was würdest du denn machen,wenn du irgendwelche Möglichkeiten hättest?«

»Möglichkeiten?Ich würde die am Liebsten zum Mond schießen mit ihrem komischen Ding, von demnoch keiner genau weiß, was es ist. Aber was soll ich alleine schon machen?Vielleicht geht es mir wie meiner Bahn. Vielleicht bin ich einfach schon zu altfür diesen ganzen Kram. Immer muss es etwas Neues sein, immer etwas noch Sensationelleres.Nee, Walter, Rummel war früher mal schön. Heute ist es nur noch einScheißgeschäft, wo einer dem anderen nicht den Dreck unter den Fingernägelngönnt. Mann, wen ich könnte, wie ich wollte ...«

»Wasdann?«

»Manmüsste dieses Ding irgendwie sabotieren. Nicht, dass das an meiner Situationirgendwas ändern würde. Aber dann hätte ich wenigstens die Genugtuung, dass dieAmis auch kein Geschäft machen können. Nur, solange niemand weiß, was daseigentlich ist, diese Sensational Human Space Roll – Mann, ich kann das kaumaussprechen.«

»Tja,und genau deshalb, mein lieber Walter, wirst du wohl mal mitfahren müssen. Passauf, wir machen das gemeinsam. Wir beide, wir haben doch einen Blick fürSchwachstellen. Vielleicht fällt uns dann was Passendes ein. Und wenn nicht,dann müssen wir uns eben Hilfe suchen.«

»Hilfe?Wie meinst du das denn? Wer soll mir schon helfen? Ich kenne hier niemanden unddie anderen Schausteller, die denken auch nur an sich. Macht doch heute jederso.«

Peter Waldmann zuckte resigniert mit den Schultern. Aber soleicht gab Walter nicht auf.

»Nee,Peter, so meine ich das nicht. Die anderen Schausteller kommen für so was ganz bestimmtnicht infrage. Da muss ich mir wohl was anderes einfallen lassen. Lass mich malmachen, ich habe da so meine Kontakte. Aber wir beide, wir müssen morgenherausfinden, was man überhaupt machen kann.«

Peter Waldmann sah seinen Nebenmann misstrauisch an.

»So,wie du das sagst, klingt das komisch. Fast, wie in den alten Mafiafilmen, diehaben auch immer blöde daher geredet.«

»Mafia!Was du da gleich denkst. Die Mafia, die gibt es doch nur in Italien oder inAmerika. Obwohl, einige meiner Freunde kommen daher. Darüber habe ich noch nienachgedacht. Glaubst du wirklich, die könnten von der Mafia sein?«

»Weißich doch nicht. Wobei haben die dir denn schon mal geholfen?«

Verschwörerisch beugte sich Walter Berghoff zu demSchausteller hinüber.

»Dassollte ich eigentlich nicht laut sagen. Weißt du, vor ein paar Jahren, da hatteich mal Probleme mit einem Kerl, der versuchte mir damals, mein Geschäft kaputtzumachen. Das war echt übel. Ich hatte so eine kleine Autowerkstatt und derTyp, das war so ein Lackaffe mit Anzug und Krawatte, der wollte unbedingt dasGelände kaufen, um da irgendwas zu bauen. Meine Freunde haben dafür gesorgt,dass er diesen Plan erst einmal aufgegeben hat. Kurze Zeit später haben sie mirdann gesagt, er hätte sein Angebot erhöht und ich sollte mir überlegen, ob ichzu dem Preis verkaufen will oder nicht. Falls nicht, würden sie sich um ihnkümmern. Das hat mir damals schon ein wenig Angst gemacht. Ich habe dannverkauft. Ich hatte auf das Schrauben nämlich eigentlich keine Lust mehr.«

»Glaubstdu, die hätten den Kerl umgebracht, wenn du nicht verkauft hättest?«

Walter Berghoff zuckte mit den Schultern.

»KeineAhnung. Vielleicht. Aber das wäre ja nicht mein Problem gewesen. Wenn man Hilfekriegen kann, sollte man nicht lange fragen. Und jetzt lass uns noch mal überdein Problem reden. Ich glaube, ich habe da eine Idee.«

 

 

Der Klappentext zu "Blind Date"

Werne-Krimi Teil fünf

 

Werne an der Lippe: Auch in ihrem fünften Wischkamp-Fall setzt Renate Behr dem beschaulichen Leben in der Kleinstadt ein jähes Ende.

 

Die junge Margrit Brinkmann freut sich auf ihr erstesTreffen mit ihrer  Internetbekanntschaft. Als Kommissar Wischkamp zufällig Zeuge des Blind Dates wird, werden Erinnerungen an einen weit zurückliegenden Mord- und Vergewaltigungsfall in der Familie Brinkmann wach. Doch das harmlos erscheinende Blind Date nimmt eine erschreckende Wendung, als Margrit spurlos verschwindet.

Jens Wischkamp ahnt, dass die beiden Fälle zusammenhängen – doch der damalige Täter sitzt lebenslang hinter Gittern. Und schon bald lässt sich nicht mehr erkennen, wer eigentlich Täter und wer Opfer ist – eine schier unlösbare Aufgabe für den jungen Kommissar.

Im Zentrum von Kommissar Wischkamps Ermittlungen steht die junge Margrit, die nichts anderes will, als nach den schrecklichen Ereignissen in ihrer Familie endlich ein normales Leben führen. Doch dafür ist es bereits zu spät …

 

Leseprobe aus "Cristal Blue" 

»Aua!« Mühsam unterdrückte Jens Wischkamp einen lauten Aufschrei. Stattdessen fluchte er nur leise vor sich hin, um seine Freundin Silvie nicht zu wecken und rieb sich sein schmerzendes Schienbein. Dann tastete er sich weiter zum Badezimmer, öffnete die Tür und machte das Licht an. Er hatte sich wieder einmal im dunklen Flur von Silvies kleiner Wohnung an irgendeiner Kommode gestoßen. Diese Wohnung war einfach zu klein für zwei Personen. Er wohnte jetzt seit ein paar Wochen hier, aber noch immer hatte er nicht alle seine Sachen aus Unna herüber holen können. Es gab einfach nicht genug Platz. Er wusste, wie sehr Silvie diese kleine Mansardenwohnung in dem windschiefen Fachwerkhaus am Werner Roggenmarkt liebte,aber so ging es nicht weiter. Er würde heute Abend mit ihr reden müssen. Nachdem er geduscht hatte, rasiert und gekämmt war, ging er in die kleine Küche, um sich einen Kaffee aufzubrühen. Als Hauptkommissar bei der Kriminalpolizei in Unna konnte man sich seine Dienstzeiten nicht immer aussuchen. Er war von seinen Kollegen angepiept worden. Jetzt griff er zum Telefon und rief im Kommissariat an. Seine Kollegin Verena Schneider meldete sich.

 

»Hallo, Jens. Gut, dass du anrufst, dann kannst du dir einen Weg sparen und gleich von Werne zum Tatort fahren. Die Kollegen von der Spurensicherung sind schon unterwegs, der Gerichtsmediziner auch.« »Hört sich nicht gut an, was ist denn überhauptpassiert und wo?« »Also, vor ungefähr einer Stunde hat die Notrufzentrale einen anonymen Anruf bekommen, dass es in der Nähe vom Schloss Nordkirchen eine Schießerei gegeben haben soll. Wir haben eine Streife hingeschickt, aber die Kollegen konnten nichts Auffälliges feststellen. Kurz darauf rief uns dann ein Landwirt aus Capelle an, dass am Rand seines Feldes ein Toter liegt. Mehr weiß ich bisher auch noch nicht. Am besten fährst du rüber und machst dir vor Ort selbst ein Bild. Eine Mordkommission haben wir vorsorglich eingerichtet.« »Okay, danke Verena. Ich mache mich gleich auf den Weg. Du kannst die Kollegen informieren, dass ich in etwa zwanzig Minuten da sein werde.«  Schnell schrieb Hauptkommissar Wischkamp noch eine Notiz für seine Freundin, dann verließ er so leise wie möglich die Wohnung. Sein Wagen stand etwa fünf Gehminuten weg an der B54 und wie versprochen dauerte es kaum zwanzig Minuten, bis er das Feld zwischen Capelle und Nordkirchen erreichte.  

 

Das Areal war weiträumig abgesperrt, die Kollegen hatten Scheinwerfer aufgestellt, so dass der gesamte Feldweg hell erleuchtet war. Jens zückte seine Marke, um sich auszuweisen, dann duckte er sich unter dem Absperrband durch und ging auf den Gerichtsmediziner zu. »Morgen, Doc. Hast du schon was?« Dr. Gerd Leinemann, der zuständige Gerichtsmediziner, hob den Kopf.  

»Nicht viel. Der Mann ist erschossen worden, aber ganz sicher nicht hier.« Dr. Leinemann deutete auf die Lage des Leichnams und die Schleifspuren. »Ich bin sicher, dass er hierher geschleift und dann hier abgelegt wurde. Hier ist viel zu wenig Blut. Um den Tatort näher bestimmen zu können, müssen die Kollegen das Gebiet bei Tagesanbruch absuchen. Vielleicht solltet ihr eine Hundestaffel anfordern.« Jens Wischkamp nickte. »Todeszeitpunkt?«, fragte er. Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Vor circa ein bis zwei Stunden, würde ich sagen. Er wurde von drei Kugeln getroffen. Die erste durchschlug seinen Oberschenkel, die zweite trat unter der zweiten Rippe ein und am Rücken wieder aus. Beide waren aber nicht tödlich, obwohl er ohne rechtzeitige Hilfe sicher daran verblutet wäre. Aber der Täter hat ihnanschließend mit einem Genickschuss sozusagen hingerichtet. Alles Weitere dann nach der Obduktion. Die Fotos sind gemacht. Kann ich ihn wegbringen lassen?«

J ens Wischkamp hatte sich hingehockt und sah dem Toten ins Gesicht. Der Mann war Anfang dreißig. »Hatte er Papiere bei sich?«, fragte er. Dr. Leinemann schüttelte den Kopf. »Keine Brieftasche, keine Ausweispapiere, kein Geld. Könnte ein Raubmord gewesen sein. Und wenn du mich fragst, der ist nicht von hier.  Sieh dir sein Gesicht an. Die hohen Wangenknochen, die dunkle Hautfarbe, die schwarzen Haare. Ich würde meinen, der Mann hat zumindest slawische Vorfahren. Vielleicht findet ihr ja was in eurer Datenbank, Fingerabdrücke haben die Kollegen bereits abgenommen. Ich werde auch noch ein DNA-Profil erstellen lassen, sobald ich ihn in der Pathologie habe.«  

 

Hauptkommissar Wischmann erhob sich und gab die Leiche zum Abtransport frei. Dann wandte er sich an einen Kollegen vom Team der Spurensicherung. »Habt ihr schon irgendetwas gefunden, was uns weiterhelfen kann?« Der Beamte deutete nickend  auf den Feldweg. »Da sind Reifenspuren, von einem großen Geländewagen, würde ich mal tippen. Wir haben Gipsabdrücke genommen, damit müsste sich zumindest der Reifentyp feststellen lassen. Außerdem haben wir auf dem Feldweg etwa 150 Meter von hier an einem Gebüsch jede Menge Zigarettenkippen gefunden. Für mich sieht das so aus, als hätte da jemand gewartet. Kann natürlich auch Zufall sein, aber wir haben sie mitgenommen. Da ist bestimmt DNA-fähiges Material dran.« Hauptkommissar Wischkamp nahm sein Handy und rief die Kripo in Unna an. Wieder meldete sich Verena Schneider. »Hallo, Schneiderlein. Schick bitte Suchtrupps und eine Hundestaffel. Wir haben eine männliche Leiche gefunden, Fotos und Fingerabdrücke sind schon zu euch unterwegs. Der Leichenfundort ist nicht identisch mit dem Tatort, wir müssen das ganze Gelände hier zwischen Capelle und Nordkirchen absuchen.Vielleicht finden wir irgendwo Patronenhülsen. Und lass dir bitte schon mal die Bandaufzeichnung von dem anonymen Anruf kommen, den möchte ich mir nachher noch anhören. Sobald du die Fotos und die Fingerabdrücke hast, jag sie bitte durch den Computer. Du solltest in Betracht ziehen, dass unser Toter vielleicht aus dem östlichen Ausland stammt, also auch die Kollegen in Russland, Polen,Tschechien und so weiter bitte mit einbeziehen. Ich rede jetzt noch mit demZeugen, der die Leiche gefunden hat und komme dann rüber zu euch.«

 

Leseprobe aus "Auf Herz und Nieren"

Schweiß rann ihm in Bächen den Rücken herunter. Gehetzt blickte er in den Rückspiegel. Sie würden ihn suchen, das wusste er genau. Er wusste nicht, wer sie waren. Aber sie hatten ihn dort gesehen. Sie hatten das Auto gesehen, mit dem er abgehauen war, Werners Auto. Und nun war er sicher, sie waren hinter ihm her. Dabei war er nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. In seinem Leben ging aber auch alles schief. Er konnte noch immer nicht richtig durchatmen. Seine Panik hatte ihn fest imGriff.     

Im Augenblick konnte er jedoch nichts Verdächtiges entdecken.Seine Hände umklammerten noch immer verkrampft das Lenkrad. Vorsichtig versuchte er, sich zu entspannen. Es wurde langsam dunkel und hier, zwischenden großen Lkws auf dem Autobahnparkplatz Overberger Busch, auf der A1 kurz vor dem Kamener Kreuz, fühlte er sich für den Augenblick einigermaßen sicher.       

 

Er lehnte sich vorsichtig zurück und schloss die Augen. Sein Atem ging noch immer stoßweise, das Adrenalin peitschte seinen Blutdruck in die Höhe. Ihm wurde schwindelig. Er riss die Augen sofort wieder weit auf. »Jetzt nur nicht schlappmachen, alter Junge«, dachte er.       

Er musste nachdenken. Gefolgt waren sie ihm offensichtlich nicht. Solange er hier auf dem Parkplatz stehen blieb, würde ihm nichts passieren. Aber er konnte ja nicht ewig hier stehen bleiben. Nach Hause, zu seinen Eltern, wollte er nicht, da würden sie zuerst nach ihm suchen. Falls sie überhaupt wussten, wer er war. Aber durfte er sich darauf verlassen, dass sie es nicht wussten? Fieberhaft überlegte er, wie es weitergehen sollte.        

 

Er könnte zur Polizei gehen. Aber würden die ihm glauben, dass er mit der ganzen Sache rein gar nichts zu tun hatte? Wahrscheinlich nicht .Denn dass er abgehauen war, machte ihn ja auch nicht gerade unverdächtiger. Aber was hätte er denn tun sollen? Die Wohnungstür war offen gewesen. Da lag Werner und alles war voller Blut. Er war so blöd gewesen, das Messer hochzuheben. Da waren jetzt seine Fingerabdrücke drauf. War sowieso nur eine Frage der Zeit, bis auch die Bullen hinter ihm her wären.      

Dann hatte er gespürt, dass er nicht allein in der Wohnung war. Er hatte es mit der Angst zu tun bekommen, Werners Autoschlüssel vom Haken gerissen und fluchtartig die Wohnung verlassen. Auf der Treppe hatte er sie gehört, aber er war schneller. Werners Golf stand direkt vor der Tür. Im Rückspiegel hatte er noch die zwei Gestalten gesehen. Einer von ihnen hatte eine Waffe in der Hand. Kurz bevor er um die Straßenecke gebogen war, hatte er gesehen, dass sie auf ihr Auto zustürzten. Sie hatten Werner umgebracht und er hatte sie gesehen. Sein Leben war keinen Pfifferling mehr wert. Er war in Werne aufgewachsen und kannte hier jede noch so kleine Gasse. Mit fast 100 Sachen war er durch die dreißiger Zone in der Berliner Straße gerast. Die rote Ampel hatte er ebenso ignoriert wie das Quietschen und Kreischen, als der alte Golf über die Barrieren dieser verkehrsberuhigten Zone jagte. Er wollte zur Autobahn und nur noch weg. Immer wieder hatte er in den Rückspiegel gesehen, aber da war nichts. Er hatte sie offensichtlich abgehängt. Und dann hatte er endlich die Autobahn erreicht. Der Schweiß brannte in seinen Augen und er hatte gewusst, dass er so nicht weiterfahren konnte. Er musste sich beruhigen. Endlich kamdieser Parkplatz. Hier war er erst einmal in Sicherheit.        

 

Erst heute früh war er aus der JVA Aachen entlassen worden, wo er sechs Jahre wegen schweren Raubes abgesessen hatte. Er hatte Werner angerufen und der hatte sofort gesagt:          

»Klar, komm her. Kannst für ein paar Tage hier pennen, bis du was gefunden hast. Zu deinen Eltern willst du ja wohl nicht, was?«      

Ihm war klar gewesen, dass Werner ihm helfen würde.Schließlich hatten sie den Bruch zusammen gemacht, aber er hatte Werner nicht verpfiffen. Wieso hätten sie auch beide sitzen sollen? Blöd war damals nur, dass die Bullen bei ihm auch die gesamte Beute gefunden hatten. Startkapital hatte er also nicht. Aber Werner würde sicher was einfallen. Werner fiel doch immer was ein.      

Und dann war alles so ganz anders gekommen. »Was für ein beschissener Tag«, fluchte er vor sich hin. ...   

 

 

»Und was machen wir jetzt?»      

Armin Wiefels sah sein Gegenüber an. Der zuckte mit den Schultern.

»Keine Ahnung, ehrlich. Das ist alles ziemlich Scheiße gelaufen heute. Wieso hat der Penner uns nicht gesagt, was wir wissen wollten?«

»Ach ja, und wieso hast du ihm einfach das Messer in den Bauch gerammt?«    

Hämisch grinsend sah Martin Breisbach seinen Komplizen an.

»Es hat mir Spaß gemacht, ich wollte sein Blut sehen. War der Idiot doch selber schuld. Und schießen konnte ich ja nicht, das hätten die Nachbarn sofort gehört und die Bullen gerufen.«

Armin lief ein kleiner Schauer über den Rücken. Dass Martin gewalttätig war, wusste er. Aber diese kalte Mordlust, die er heute früh in Werner Meiers Wohnung in Werne-Stockum in den Augen des Anderen gesehen hatte, hatte ihn erschreckt.

 

»Und wie sollen wir dem Boss jetzt erklären, dass wir nicht ein Stück weitergekommen sind?«      

Martin zuckte mit den Schultern.

»Ich lass' mir schon was einfallen. Der Meier hatte eine Freundin und ich weiß, wo wir die finden. Wir nehmen uns die Kleine mal vor. Die weiß bestimmt, wo Meier die Unterlagen versteckt hat, die der Boss so dringend haben will. Falls er sie überhaupt schon hatte. Schließlich hat der Idiot das Verhältnis mit der Kleinen doch nurangefangen, um in der Wohnung ihrer Eltern ungestört nach diesen verfluchten Unterlagen suchen zu können. Sie wird schon wissen, wie wir da ran kommen. Und sie wird es uns sagen, das kannst du mir ruhig glauben. Ich bin wirklich gut imÜberreden.«  

Wieder zog dieses grausame Grinsen über Martins Gesicht.      

»Aber wenn er sie noch gar nicht hatte, oder wenn sie nichts sagt, willst du sie dann auch umbringen?«

»Zeugen können wir nicht gebrauchen, Kleiner. Ich weiß schon, was ich tue.«

»Apropos Zeugen, was ist denn mit dem Typen, der in der Wohnung war heute Mittag?«      

Martins Gesicht verfinsterte sich.     

»Den müssen wir auch noch finden. Ich glaube zwar nicht, dass er uns erkennen würde, und dass er das Messer in die Hand genommen hat, war ziemlich blöd von ihm. Da sind jetzt nur seine Fingerabdrücke drauf. Aber wir können es trotzdem nicht riskieren, dass er zu den Bullen geht.«

»Und wie willst du das verhindern? Wir wissen doch gar nicht, wer das war.«       

 

Martin Breisbach grinste und griff in seine Jackentasche.

»Das nicht. Aber ich habe die Autonummer und ich habe da jemanden, der mir helfen wird, die Karre zu finden. Alles nur eine Frage der Zeit. Und jetzt hör’ auf, dämliche Fragen zu stellen. Wir müssen unbedingt die Kleine von dem Typen finden. Ihre Adresse habe ich. Wir fahren da jetzt hin, und wenn dieGelegenheit günstig ist, schnappen wir sie uns. Um den anderen Kerl können wir uns dann immer noch kümmern.«

 

 

Leseprobe aus Anonymus@

 

Jens Wischkamp war am Nachmittagwie versprochen in der Werner Polizeiwache am Bahnhof aufgetaucht. Dampfender, frischer Kaffee wartete auf ihn. Der junge Kollege zeigte ihm Fotos von einer Katze.

»So sah das arme Tier aus, als es noch gesund und munter bei seinen Besitzern weilte.«

Jens sah eine braun getigerte kleine Katze mit weißen Pfoten und einem rosa Näschen. Dann legte Christian ihm die Fotos vor, die ein Polizeibeamter im Garten der Besitzer geschossen hatte, nachdem diese die Polizei angerufen hatten.

Jens musste schlucken.

»Das ist ja ekelhaft. Wer kommt denn nur auf solch eine perverse Idee?«

Eines der Fotos zeigte das Fell der Katze, auf den anderen Bildern erkannte man, dass jemand die Katze in viele Teile zerlegt hatte. Sogar die Augen hatte man dem Tierchen aus dem Schädel geholt. Jens wurde übel. Er wandte sich ab.

»Ein Foto musst du dir nochansehen, Jens.«

Christian Brückner schob ihm eine Gesamtaufnahme der aufgefundenen Körperteile zu. Widerwillig sah Jens auf das Foto. Mit einem fragenden Blick hob er den Kopf.

»Ja, uns ist es auch zuerst nicht aufgefallen. Aber sieh mal«, Christian Brückner nahm ein Duplikat des Fotos, auf dem er mit einem Filzstift die Umrisse des Tierkadavers nachgezeichnet hatte. Vor den Augen des Kommissars erschien das Wort »Puzzle«.

Jens schlug mit der Faust auf denTisch.

»Das ist wirklich unglaublich. Wenn ich den Kerl in die Finger kriegen würde ...»

Christian Brückner nickte. Dannschob er eine Plastiktüte über den Tisch, in dem sich ein Papierfetzen von etwa 5 cm Breite und 3 cm Höhe befand. Es sah wirklich aus wie ein Stück einer Buch- oder Zeitschriftenseite.

 

Mit klopfendem Herzen nahm er das Messer zur Hand. Das kleine Lebewesen sah ihn mit großen, schreckerfüllten Augen an. Er griff nach den Lederhandschuhen, schließlich wollte er sich nicht .....

 

Mehr war nicht zu lesen. Jens wurde nachdenklich. Etwas an diesen Sätzen kam ihm bekannt vor, aber konnte auf Anhieb nicht sagen, was es war.

»Das sieht ja ganz so aus, als hätte unser Täter nach einer Vorlage gearbeitet. Das ist doch krank, einfach nur krank.«

Christian Brückner nickte.

»Zumindest glaubst du jetzt nicht mehr, es sei ein belangloses Stück Altpapier, was wir da gefunden haben.«

»Nein, ganz sicher nicht. DerTäter hat das absichtlich so platziert, dass ihr es finden musstet. Aber ehrlich, Christian, ich weiß nicht, wie ich euch dabei helfen kann. Wenn solche Fälle gehäuft auftreten, was der Himmel verhüten möge, dann kann ich tätig werden, aber so? Es ist leider genauso, wie du schon am Telefon gesagt hast. Nach den Buchstaben des Gesetzes haben wir es hier mit einer Sachbeschädigung zu tun und dafür bin ich nicht zuständig. Haltet aber die Augen offen und wenn das noch einmal passiert, ruf mich sofort an. Dann werde ich sehen, was wir tun können, um dem Kerl das Handwerk zu legen.«

Jens machte sich auf den Heimweg. Die Bilder der toten Katze verfolgten ihn. Und immer wieder überlegte er, wo er diese Sätze auf dem Papierfetzen schon gehört oder gelesen haben könnte, aber es wollte ihm nicht einfallen.

Silvie wartete bereits mit dem Essen auf ihn. Forschend sah sie ihm ins Gesicht.

»Du siehst so nachdenklich aus, mein Lieber. Ist etwas passiert? Am Telefon hast du doch gesagt, es sei alles ruhig.«

»Ist es in Unna auch. Aber ich war noch kurz auf der Wache in Werne. Hier treibt wohl ein Katzenfänger sein Unwesen. Heute früh hat man eine tote Katze gefunden und die war grausam zugerichtet. Ich denke jetzt darüber nach, wie krank ein Mensch im Kopf sein muss, einem wehrlosen Tier so etwas anzutun.«

Silvie strich ihm übers Haar. Sie wusste, dass ihr Mann sehr tierlieb war. Dass ihm so etwas unter die Haut ging, konnte sie also gut verstehen. Also versuchte sie, ihn abzulenken.

»Komm, lass uns essen. Und danach machen wir beide einen schönen Spaziergang, das wird dich sicher auf andere Gedanken bringen.«

 

...

 

Er saß auf seinem Stuhl, die Hände vor sich auf dem Tisch und beobachtete das Flackern der vielen Kerzen. Hier, in seinem kleinen Refugium, wollte er kein elektrisches Licht haben. DieKerzen gaben dem Raum eine fast unwirkliche Atmosphäre. Niemand wusste von diesem Raum, hier war er ganz allein mit sich und seinen Plänen. Er lächelte. Es hatte begonnen. Er erinnerte sich an das Herzklopfen, dass er gestern Morgen verspürt hatte. Er hatte es sich leichter vorgestellt, das auszuführen, was er sich vorgenommen hatte. Aber es musste sein. Er würde sich überwinden. Und wer wusste es schon, vielleicht würde er es bald sogar genießen können.

Vielleicht wäre es besser, es noch ein zweites Mal zu probieren, nur so zur Sicherheit. Denn der gewünschte Erfolg war ausgeblieben. Zwar gab es in der Zeitung einen kurzen Bericht, aber offensichtlich hatte die Polizei seinen Hinweis überhaupt nicht verstanden. Da stand nichts davon, wie liebevoll er alles arrangiert hatte. Da stand nichts davon, wie viel Mühe er sich gegeben hatte, Aufmerksamkeit zu erregen. Und von dem Teil der Buchseite hatten sie auch nicht berichtet.

Diese ignoranten Kleinstädter wollten oder konnten offensichtlich gar nicht verstehen, dass er ihnen ein Kunstwerk hinterlassen hatte, das einem ganz besonderen Zweck geweiht war.

Hässlich lachte er auf. Die würden schon sehen, wohin sie das führte. Sie würden ihn nicht  lange ignorieren können, da war er sich sicher. Er würde schon dafür sorgen, dass ihnen die Augen geöffnet wurden. Und wenn diese beschauliche kleine Stadt nicht der richtige Schauplatz für sein Vorhaben war, nun, dann würde er sich in einer anderen Region umschauen müssen.

Er nahm das Buch zur Hand, aus dessen Mitte er einen Papierfetzen herausgerissen hatte, um der Polizei einen entscheidenden Hinweis zu liefern. Einen Hinweis, der dazu führen sollte, das sein Name genannt wurde. Nein, nicht sein Name, dazu war er viel zu vorsichtig. Ihn würden sie niemals erwischen. Aber sie sollten erkennen, woher er seine Ideen bezog. Das würde dazu führen, dass man den, für den er dies alles tat, endlich so wichtig nahm, wie es ihm zustand. Vorsichtig, um die anderen Seiten nicht zu beschädigen, löste er ein weiteres Stück aus dieser Seite heraus.

Dann begann er, seine Tasche zu packen. Er brauchte Handschuhe, um sich nicht zu verletzen. Diese kleinen Biester waren so widerspenstig und kratzten und bissen. Das Messer, das er gestern gründlich gereinigt hatte, würde er wieder verwenden. Den neuen Papierfetzen packte er sorgfältig in eine Plastiktüte. Bei all diesen Vorgängen hatte er dünne Latexhandschuhe an. Niemand sollte seine Fingerabdrücke finden können. Denn dass sie irgendwann nicht mehr umhin konnten, alles auf Fingerabdrücke zu untersuchen, das war ihm schon klar. Er musste schlucken. Er wusste, dass er weitergehen musste auf dem Weg, den er eingeschlagen hatte. Und er hatte Angst davor. Ein Tier, das war eben nur ein Tier. Aber damit würde es nicht getan sein. Damit hatte es begonnen, aber aufhören würde es damit nicht. Und es kamen ihm Zweifel, ob er wirklich in der Lage sein würde auszuführen, was er sich vorgenommen hatte.

Dann aber griff er wieder zu dem Buch. Da stand seine Rolle in kleinen schwarzen Buchstaben auf  weißem Papier gedruckt. Er würde diese Rolle spielen, genau nach den Vorgaben des Buches. Er würde dieses Werk lebendig werden lassen. Durch ihn wurde diese Fiktion zur Realität. Dann würde niemand mehr daran vorbeigehen können. Jeder würde sie lesen wollen, diese Romane, von denen er eines als Drehbuch für seine Taten benutzt hatte. Jeder würde wissen wollen, wie es weitergeht. Eigentlich waren sie es selbst schuld. Wenn sie, genau wie er, von Anfang an erkannt hätten,welches Genie in dem Schreiber dieser Zeilen steckte, dann wäre es gar nicht notwendig, dass er sich so engagierte. Aber sie waren dumm, unwissend,ungläubig. Er würde ihnen den Glauben bringen. Den Glauben daran, dass alles,was da geschrieben stand, ganz leicht Wirklichkeit werden konnte.

Er nahm die Polaroid-Fotos zur Hand,die er nach der Vollendung seiner Tat gemacht hatte. Das Arrangement war ihm wirklich gut geglückt, aber diese bornierten Beamten hatten das offensichtlich gar nicht zur Kenntnis genommen. Nun, beim nächsten Mal würden sie es tun müssen.

Er stockte. Eigentlich hatte er sich ja überlegt, woanders hinzugehen. Aber konnte er dann sicher sein, dass ein anderer Polizist die Augen besser aufmachte? War es nicht vielleicht doch sinnvoller, noch einmal hier zuzuschlagen?

Er wurde unsicher. Er hatte sich seinen Plan so schön zurechtgelegt und nun musste er so viel nachdenken. Nachdenken versursachte ihm immer starke Kopfschmerzen. Das mochte er nicht. Er hatte ein Ziel und das wollte und musste er erreichen. Nun gut, einmal noch würde er der örtlichen Polizei hier die Chance geben zu erkennen, dass sie die Hinweise, die er ihnen lieferte, nicht übersehen durften. Heute Abend würde er sich noch einmal auf die Suche machen. Und spätestens übermorgen müsste dann in der Zeitung doch ein Hinweis zu finden sein. Er brauchte diesen Hinweis, um dem Anderen zu beweisen, dass sein Plan funktionierte. So, wie er es versprochen hatte.